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SOLOs Forderungen

#pn17 / Blog /

2. August 2017

Über zwei Wochen konnten Studierende des Fachbereichs 2 in einem nur ihnen zugänglichen Google-Dokument ihre Diskriminierungserfahrungen im universitären Rahmen beschreiben.
Das Dokument ist nicht repräsentativ, gibt aber einen Eindruck der zahlreichen Diskriminierungserfahrungen Einzelner, und wurde daher an Prof. Dr. Jens Roselt und das Gleichstellungsbüro weitergeleitet.
Auf Basis dieser Erfahrungen stellt SOLO nun die folgenden Forderungen:

Verantwortungsbewusstsein im Studienalltag
Um strukturelle Diskriminierung im Fachbereich 2 zu destabilisieren, wünschen wir seitens der Lehrenden eine höhere Sensibilität für Machtgefälle innerhalb unserer Gesellschaft, der Universität und den Lehrveranstaltungen.

Wir fordern Lehrende und Personen, die in strukturellen Diskriminierungsgefügen eine höhere Position innehaben, dazu auf sich ihre eigenen Handlungsmöglichkeit bewusst zu werden: Dass sie durch Verweigern der Auseinandersetzung gegebener Machtstrukturen diese aufrechterhalten, ebenso dass sie mit einer Auseinandersetzung und Einräumung ihrer Privilegien diese Machtstrukturen destabilisieren können. Die Verantwortung, Diskriminierungsstrukturen in Seminaren nicht zu reproduzieren, muss vor allem von den Lehrenden wahrgenommen werden. Es ist außerdem nötig, das Bewusstsein der Lehrendenschaft dafür zu schärfen, dass diejenigen, die Diskriminierung nicht erfahren, nicht in der Position sind, die Wichtigkeit des Themas zu skalieren. Deshalb sollte Wert auf die Möglichkeit einer ernstgenommenen Mitgestaltung an Veranstaltungsthemen, Gesprächs- und Seminarinhalten, sowie die Besprechung von Diskriminierung in Gremienveranstaltungen gelegt werden.

Wir fordern einen ernsthaften, selbstkritischen Umgang mit dem Thema Diskriminierung von Studierenden- und Lehrendenseite. Wenn beispielsweise problematische Formulierungen und Verhaltensweisen in Seminaren auffallen und angesprochen werden, diskriminierende Inhalte vermittelt werden oder die Homogenität der Inhalte kritisiert wird, muss dies entsprechend reflektiert behandelt werden. Auch dann, wenn der°die Lehrende anderer Meinung ist. Ebenso müssen die Leerstellen thematisiert werden dürfen, wie beispielsweise die Unterrepräsentation von People of Colour oder Transpersonen in Seminarinhalten und den Beschäftigungsverhältnissen im Fachbereich 2.

Wir fordern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Literaturauswahl im Zuge der Vorbereitung auf Seminare, Vorlesungen und Übungen. Falls keine diversere Literaturauswahl geschieht, sollte auf Kritik und Anregungen der Studierenden eingegangen werden.

Die Besetzung von Lehrstellen, HiWi-Stellen und Sekretariatsstellen muss diverser werden. Bei der Besetzung dieser Stellen muss die gängige Praxis berücksichtigt werden, bei gleicher Qualifikation marginalisierte Personen zu bevorzugen und dabei Mehrfachdiskriminierungen zu beachten. Offene Ausschreibung von HiWi-Stellen und anonymisierte Bewerbungsverfahren gehören zu einer diskriminierungsfreien Stellenbesetzung dazu.

Wir wünschen uns ein Bewusstsein für fair verteilte Redeanteile in Lehrveranstaltungen und Institutssitzungen. Das setzt voraus, dass Lehrende und Studierende Ungleichgewichte bemerken und Wege suchen, diese zu beheben. Dafür ist ein achtsamer und höflicher Umgang miteinander verpflichtend. Auf Witzeleien und Anzüglichkeiten in Seminaren (und natürlich auch überall sonst) muss verzichtet werden, da sie zu keinem Zeitpunkt angebracht sind und zudem einen Nährboden für strukturelle Diskriminierung bilden. Außerdem sollten Vorannahmen über bestimmte Gruppierungen und deren Kompetenzen und Handlungsfelder vermieden und verhindert werden.

Es muss gewährleistet sein, dass die Äußerung solcher Bedenken von der Leistungsbewertung getrennt wird.

Evaluation
Wir fordern eine verbesserte Evaluation von Diskriminierungsvorfällen und Machtmissbrauch. Die Möglichkeit der Mitteilung auf den gängigen Evaluationsbögen ergreift diese Vorfälle nur innerhalb der Veranstaltungen und ist nur der°m einzelnen Lehrenden zugänglich. Es sollte deshalb zum Einen ein gesonderter Evaluationsbogen eingeführt werden, der einer dafür vorgesehenen Instanz übermittelt wird (Vertrauensdozierende°r, AstA Referate, Gleichstellungsbeauftragte, externe Supervision etc.). Anschließend können die Ergebnisse an die Dozierenden weitergegeben werden. Diese Instanz sollte sich vermittelnd einschalten können, ohne dass Einzelpersonen in den Fokus geraten. Weiterhin sollte sie die Handlungsmacht bekommen, in gravierenden Fällen und nach eigenem Ermessen Untersuchungen anstoßen zu können. Dieselbe Handlungsmacht sollte grundsätzlich für die Gleichstellungsbeauftragten gelten.

Außerhalb der Evaluationsbögen müssen die Anlaufstellen bei Diskriminierungserfahrungen sichtbarer gemacht werden. Das bedeutet, dass Lehrende und Studierende umfassend über ihre Rechte, Möglichkeiten und die Vorgehensweise der entsprechenden Stellen mit ihren Meldungen informiert werden. Mit den Vorfällen muss vertraulich umgegangen werden.
(Diese Forderung entstand in Zusammenarbeit mit der AG Evaluationsalternativen.)

Zur Weiterbildung für die Dozierenden im Fachbereich 2 wünschen wir uns diskriminierungskritische Workshops, die von Universitätsseite organisiert und als Standard eingeführt werden. Neben Rassismus, Sexismus und Klassismus sollte es auch um weitere Diskriminierungsformen gehen, die in diesen Bezeichnungen nicht erfasst werden und wie diese Diskriminierungsformen ineinandergreifen. Im Workshop sollte sensibilisiert werden für die Mechanismen von institutioneller Benachteiligung und Intersektionalität in der Diskriminierung. Des Weiteren sollten Lösungen für problematische Situationen erarbeitet werden. Die Leitung des Workshops sollte extern übernommen werden, um eine Unabhängigkeit zu gewährleisten.

Wir fordern die Gründung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung und Verbesserung struktureller Diskriminierung im Fachbereich 2, die mit Mitgliedern aus verschiedenen Hierarchiestufen (Studierende, Wissenschaftliche Mitarbeiter°innen und Professor°innen) der Universität besetzt wird. Diese Mitglieder sollen innerhalb der Gruppierung gleichgestellt sein. Aufgabe wäre die Untersuchung und Verbesserung bestehender Abläufe im Fachbereich 2 in Bezug auf Diskriminierung und Machtmissbrauch. Genauer wäre dies zuerst die genaue inhaltliche Vorbereitung der Workshops, zweitens die Fortführung einer Sammelstelle für Diskriminierungs- und Machtmissbrauchserfahrungen, drittens die Verbesserung der individuellen Zugänglichkeit von Anlaufstellen. Die Kommission sollte auch laufend die Diversität in den Literaturlisten, Lehrangebot und in den Beschäftigungsverhältnissen im Auge haben und ggf. gezielte Änderungsvorschläge machen. Grundsätzlich sollte die Kommission bestehende Vorgänge im Fachbereich 2 evaluieren können und mit Handlungsmacht zur Verbesserung ausgestattet sein.

Alle Aufgaben, die zukünftig zum Erreichen dieser Ziele und Vorhaben beitragen, müssen entlohnt werden. Es ist nicht akzeptabel, wenn dies durch studentisches Engagement getragen wird.

[FLASHBACK] #6 PROSANOVA 17 rückblickend

#pn17 / Blog /

6. Juli 2017

Ich habe ein halbes Jahr vor PROSANOVA einen Text geschrieben, in dem ich versucht habe, mir so etwas vorzustellen, ein Festival für junge Literatur. Wenn ich den Text jetzt lese, kommt er mir viel zu allgemein vor, zu ungenau, zu einfach und klischeehaft. Aber das war auch vor einem halben Jahr, das war, bevor mein Leben einen Monat lang nur PROSANOVA war. Keine Uni, kein Ausschlafen, kein Zimmer aufräumen oder Bad putzen, eben nur PROSANOVA. Und es war vor diesen vier Tagen, an die ich nach zwei Nächten Schlaf, mit einer Träne im Augenwinkel und einem breiten Lächeln im Gesicht zurückdenke.

Und jetzt versuche ich rückblickend etwas über das Programm zu schreiben. Das waren diese vier Stunden zwischendurch, in denen ich nicht mit dem Handy in der Hand oder am Ohr herumgerannt bin. Weil eine Künstlerin den Zug verpasst hatte oder ein Künstler gerne etwas drucken würde. Als Künstler°innen-Betreuerin war es meine Aufgabe, sich um solche Sachen zu kümmern.                                                                                                                                                 Nur in eben diesen vier Stunden habe ich versucht, meine Gedanken für eine kurze Zeit von meinem Zeitplan, der gefaltet in meiner Gürteltasche lag, vom Wasservorrat im Backstage-Kühlschrank und von meiner ToDo-Liste wegzukriegen. Und mal zuzuhören. Sich auf das zu konzentrieren, wofür wir das alles gemacht haben. Für die Literatur. Für die Menschen da vorne auf der Bühne und für die hier im Publikum, die vier Tage lang Literatur hören, Literatur lesen und über Literatur reden. Und über Sexismus am Literaturinstitut, aber darauf werde ich nicht weiter eingehen, das hat mit dem Programm nur soweit zu tun, dass es ihn im Programm dieses Mal eben nicht wirklich gegeben hat. Den Sexismus.

Von der Veranstaltung „Einen Ausblick organisieren“ habe ich die ersten zehn Minuten mitbekommen. Bevor ich mich vor die Halle setzen musste, weil die Zuspätkommer°innen mit dem Knarren der Tür die Stimmen auf der Bühne übertönten. Durch einen kleinen Seiteneingang konnte ich unbemerkt die Nachzügler und Nachzüglerinnen einschleusen.
Ich schielte nur noch sehnsüchtig durch zwei Fenster auf die Bühne und in die Gesichter des Publikums, die mir verrieten, wie schön es jetzt wäre, drinnen zu sitzen und zuhören zu können.
Das erste Format, für das ich mir zwei Stunden freischaufelte, war „Aufräumen“. Und dann war ich doch die ganze Zeit im Kopf bei der Organisation und bei meinem Zeitplan. Vor allem bei meinem Handy, das ich für diese Zeit komplett ausmachte.
Was ist, wenn etwas schief läuft und jemand mich erreichen muss?
Was ist, wenn jemand eine dringende Frage hat und ich nicht helfen kann?
Und wenn jetzt jemand einen früheren Zug genommen hat und am Bahnhof auf mich wartet? Ich war nicht wirklich bei der Veranstaltung. Nicht mit dem Kopf.
Die Soundinstallation, die ich am Sonntag betreute, konnte ich zum Glück mit anhören. Diesmal musste ich eine halbe Stunde lang nicht nur mein Handy, sondern auch meine Orga-Gedanken ausschalten, was an der Intensität und Verdichtung der Atmosphäre und des Textes lag. Vielleicht auch daran, dass es der letzte Tag war und eine willkommene Einladung, einmal nicht nachzudenken.
Zum Abschluss stellte ich mich noch in die Schlange zum ALDI Parkplatz, um die Lesung „Auf Inseln“ zu hören. Und da überkam mich wirklich für kurze Zeit ein Festival-Gefühl. Wahrscheinlich lag es daran, dass die Anspannung langsam abfiel, aber da hatte ich einen kurzen Besucher°innnen-Moment.

Und es sind wirklich nur diese vier Stunden, die ich von dem Programm mitbekommen habe. Oder anders gesagt: es sind nur diese vier Stunden, die ich von dem Besucher°innen-Programm mitbekommen habe.                                                                           Weil dahinter war ja noch mehr.
Da waren die Künstler°innen, die ich betreuen durfte, und die noch viel beeindruckender waren als schon in ihren Büchern, die im Festival-Buchladen standen. Die ich vom Bahnhof abgeholt und ins Hotel gebracht habe, und für die ich auf dem Gelände Ansprechperson war. Und mit denen ich viele so schöne, manchmal so angenehm belanglose, manchmal ganz konzentrierte und insgesamt so weiterbringende Gespräche geführt habe. Bei denen ich nach diesen vier Tagen etwas das Gefühl habe, zumindest eine Seite von ihnen kennengelernt zu haben. Und wenn nicht, dann immerhin feststellen zu dürfen, dass Menschen im Allgemeinen einfach toll sind. Einfach so, im Allgemeinen.
Dann gab es noch das Team, über das ich diesen Satz nur wiederholen kann. Dass Menschen einfach toll sind. Es gehört viel dazu, aus knapp dreißig Studierenden ein Team zu bilden, das sich alles anvertraut, das sich hilft, das doch noch in jeder Situation einen guten Grund zu lachen findet, auch wenn man selber völlig fertig ist. Und mit dem man vier Tage ohne Schlaf aushält, ohne sich einmal in die Haare zu kriegen. Genau das hat PROSANOVA geschafft.

Ich sitze mit Alex, Sophia und Franzi im Backstagebereich um den kleinen Tisch im Vorzimmer, neben uns brummt der Kühlschrank und wir beraten, wie wir heute weiter arbeiten. Wer bewacht den Backstage, wer holt wen vom Bahnhof ab, wer kümmert sich um den Buchladen oder die Erstattungsformulare. Und dann kommt eine Künstlerin mit ein paar anderen aus dem großen Raum zu uns an den Tisch und sagt so oder wahrscheinlich so ähnlich: „Bei Festivals ist die Organisation immer so gestresst und man traut sich gar nicht sie anzusprechen. Aber ihr schwebt hier immer so freundlich rum. Wie kleine Peter Pans.“
Und dieser Satz, so oder so ähnlich, bleibt mir im Kopf und macht den ganzen Tag noch schöner.

Und jetzt würde ich die Uhr gerne zurückdrehen, die Kalenderblätter wieder ankleben und mir ein rotes Besucher°innenbändchen ums Handgelenk binden. Und noch einmal ins Festivalzentrum schlendern, mich durch den Leporello kämpfen und auf dem Gelände verirren. Mich Slushischlürfend in den Liegestühlen bräunen. Und mich dann natürlich in die Schlangen stellen, noch gerade vor Einlassstopp in Veranstaltungen quetschen und einen Sitzplatz ergattern. Und zuhören und mitdenken und in die Texte versunken die Stirn runzeln und klatschen.
Nicht, weil ich es bereue mitgemacht zu haben, ganz im Gegenteil. Ich bereue nur, dass das eben noch nicht geht, in der Zeit zu reisen. Weil ich von so vielen Leuten so viel Positives über die Formate und das Programm gehört habe und über die Sauberkeit der Toiletten und über den Kaffee an der Bar, und weil ich deshalb einfach gerne noch einmal mitmachen würde, auf der anderen Seite diesmal.

Und es gibt so viele schöne Momente, die ich nicht mit einem roten Bändchen ums Handgelenk mitbekommen hätte. Ich schreibe jetzt nicht alle auf, sonst würde ich merken, dass die Liste der Momente endlich ist, und das würde mich wieder auf den Boden zurückbringen, auf den ich gerade noch nicht zurück will.

Mara Schmitz

[FLASHBACK] umfasst Beiträge von ehemaligen PROSANOVA-Beteiligten und diesen jüngsten Text zum jüngsten PROSANOVA.

[PROZESS] Wenn Sexismus eine Neuigkeit ist

#pn17 / Blog /

7. Juni 2017

Eigentlich sollte heute ein facebook-Eintrag von mir hier re-posted werden, den ich 2014 am Tag nach PROSANOVA geschrieben habe. Darin geht es um Festivalbändchen, die als Teebeutel-Ersatz in Tassen hängen, verschimmeltes Chili in riesigen Töpfen, in Mikros schreiende Autor°innen und auch ein bisschen darum, dass ich die Literatur liebe und nicht mehr leise sein will.

Jetzt ist 2017, morgen ist das PROSANOVA zum fünften Mal und ich erinnere mich an den Text, mit dem ich am Tag nach Trumps Wahl den [BLOG] des Festivals eröffnet habe. Darin steht: »Ich bin kein Fan vom Teufel an der Wand, aber wenn ein offenkundiger Rassist und Frauenfeind zu einem der mächtigsten Menschen der Welt erhoben wird, für vier lange Jahre, dann weiß ich nicht, wie ich mit meinen Mitteln widersprechen kann.« Obwohl ich unbedingt widersprechen will. Trumps Wahl war nicht der einzige Moment während der PROSANOVA-Vorbereitungen, an dem ich mich das gefragt habe. Wie widersprechen, wenn mir etwas gehörig gegen den Strich geht. Gegen den Strich, weil etwas meinem Weltbild, meinen Wünschen von Gleichberechtigung entgegenwirkt. Nicht weil mir persönlich etwas angetan wurde, sondern weil etwas getan wird gegen die Auflösung diskriminierender Strukturen.

In den vergangenen Wochen enstand im und um das Literaturinstitut Hildesheim herum der Eindruck, dass ein Sexismus-Vorwurf vorallem eine persönlich beleidigende Anschuldigung ist. Es gab diesen Text im Faltblatt von Anonym, der mit dem Satz »Das Institut hat ein Sexismus-Problem« anfängt. Danach gab es viele Gespräche hinter verschlossenen Türen unter vier oder ein paar mehr Augenpaaren, Ärger und schriftliche Stellungnahmen. Was besprochen und weitergetragen wurde, wer wem was vorwirft, wer was zu wem gesagt hat, blieb im Kleinen und ist für niemanden so richtig nachvollziehbar oder zu überblicken. Das bleibt in geschlossenen Sitzungen, bleibt im Mündlichen, was es schwer macht, überhaupt über das zu sprechen, was da außerhalb der Texte und um die Texte herum noch gewesen ist. Obwohl auf so eine Art eigentlich alle dabei waren, sich jede°r Studierende ihren°seinen Teil denkt, mit Kommiliton°innen über alle möglichen Aspekte dieser Sache geredet hat. Eine Vollversammlung etwa gab es nicht, als sei der Vorwurf des Sexismus an ein Institut etwas, was nur die Beteiligten etwas angeht, etwas privates, ein Streit zwischen wenigen, zu dem nur wenige etwas sagen können. Um diesen speziellen Vorfall geht es mir aber eigentlich mit diesem Text gar nicht, denn im Grunde geht es weder um den Faltblatttext, noch um das Literaturinstitut Hildesheim, noch um ein ausschließlich universitäres Problem. Es geht schlichtweg um das System des Sexismus, eine anhaltende Machtausübung der Privilegierten, die man fast überall sieht, die in jede kleine Ecke des menschlichen Seins gekrochen und schwer wieder hervorzulocken ist.

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[MATERIAL] #8 die Artists in Residence – ein Text von Timo Brandt

#pn17 / Blog /

7. Juni 2017

Timo Brandt wurde 1992 in Düsseldorf geboren und wuchs in Hamburg auf. Seit 2014 Studium am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien; seit 2015 Mitherausgeber der JENNY Literaturzeitschrift; seit 2016 Rezensent auf Fixpoetry.com. Veröffentlichungen u.a. in Bella Triste, STILL, Metamorphosen, Das Gedicht, Seitenstechen und einigen Anthologien.

 

–Kritiken zu meinem neusten Lyrikband-

 

„Die Ideen sind so tiefgründig und packend wie die Infos auf einer Milchtüte
und die Syntaktik
ist angestaubt.“
Henning Bartigel, für Literarische Ufer

 

 

„Mit einer Schleuder auf Dosen zu schießen
macht mehr Spaß.“
Nina P. Barnard, für Kultur.K.O.

 

 

„Genauso sexy wie der Vorgänger, nämlich
überhaupt nicht.
Eignet sich höchstens als Geschenk
für ungeliebte Arbeitskollegen.“
Kennie Müller, für Men’s keyhole

 

 

„Wie Black Hawk Down – nur hässlich.“
Nikkie Daemon @noyolo, für Lyrisches Gaming

 

                       

„Das Universum: unendliche Langeweile.
Wenn Kapitän Kirk gewollt hätte,
            dass Ihr Euch das durchlest,
hätte er das Buch gratis ins Internet gestellt.“
Nadine Rosemarie, für Unter den Sternen

 

 

„Durch die zahlreichen ultrabrutalen adjectivs
werden zudem die Grenzen des guten Geschmacks, mehr als deutlich,
     überschritten.“
Konrath Nießeichen, für Sprache, Kultur und Dichtung

 

 

„Sparen Sie sich das Geld fürs Tanken!“
Harald Bossheimer, für Daif (Das Auto im Fokus)

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[FLASHBACK] #5 PROSANOVA 2005 – Prosanova im Präsens II

#pn17 / Blog /

6. Juni 2017

I

Am 17. Juni 2003 sitze ich um 23.33 Uhr in einer stehenden Welle aus Lärm, E-Gitarren, Bass Schlagzeug, aber das ist kein Song, sondern unzusammenhängender Krach, verzerrter Gesang und wildes Geschrei in einem von Moltonbahnen abgehängten Teil der sogenannten Alten Teppichhalle in der Senkingstraße in der Hildesheimer Nordstadt, einzelne Zuschauer sind schon aufgestanden und gegangen, die Performer schmeißen selbstgebrannte CDs mit Raubkopien ihres Lärms ins Publikum und teilen fotokopierte Bögen ihrer eigenen Festivalfreigetränkekarten aus, Go, schreit der Sänger ins Mikrophon und Zeigt auf den Ausgang, Go away, go, go, und dreht noch einmal den Verstärker lauter, und plötzlich wird mir klar, diese Performer wollen gar keinen Schlussapplaus, konsequentes Ende einer großartigen Performance, die Pirates! heißt, ich taumele mit Tinnitus im Ohr und restlos begeistert hinaus in die Hildesheimer Nachtluft, setze mich aufs Rad und fahre zurück zum Pelizaeusplatz ins Festivalzentrum von transeuropa 2003, seit Tagen hänge ich hier ab, spiele Kicker, betrinke mich kollektiv (was den Kickerfähigkeiten nicht zugute kommt) und fahre zwischendurch schnell zu den verschiedenen Performances und Aufführungen des Festivals, einmal ein bierkistengroßer Eisblock, der von zwei Unterarmen zerschmolzen wird, bis das Wasser in Fäden von den zunehmend krampfenden Händen und Ellenbogen rinnt, ich sehe Finninnen Wodka trinken und Schweizer Bergziegen minutenlang Kräuter wiederkäuen, ich will alles sehen auf diesem Festival, das zudem von einer Freundin von mir geleitet wird, ich bin fast ununterbrochen betrunken, ich bin begeistert, ich denke: Das will ich auch machen, ein Festival.
Das will ich auch machen, ein Festival, denke ich, und schlage das der BELLAtriste-Redaktion, also Wiebke Späth, Thomas Klupp, Florian Kessler im Spätsommer 2003 vor, Redaktionssitzung in Thomas Arbeitszimmer in seiner Wohnung in der Weißenburger Straße, wir haben bis hierhin sieben schmale Hefte der BELLA in die Welt gestellt, Heft Nummer sechs ist eine Sonderausgabe zur Schweizer Literatur, eine Kooperation mit transeuropa 2003, Thomas und Wiebke sind zunächst skeptisch, vor allem wegen der vielen Arbeit, aber am Ende des langen Abends sind wir dann doch entschlossen uns kopfüber hineinzustürzen, alles miteinander kollektiv zu leiten und zu entscheiden, und Katrin Zimmermann und Matthias Karow noch dazuzuholen, wir stoßen mit Einbecker in flaschengrünen Flaschen auf den Sommer an, auf das Kommende, die Freundschaft, die Zukunft.

II

Das Festivalbüro liegt in der Goschenstraße 32, im Erdgeschoss, für die Büronutzung haben wir Gerümpel, Ölkannen und Mopeds in Einzelteilen und kistenweise alte Gesundheitsschuhe ausgeräumt, dann günstig gekaufte Restbestände an Rollrasen verlegt, die Herrichtung des Festivalbüros ist eine Art Vorübung für das, was uns im Festivalzentrum erwartet, ich wohne zwei Stock über dem Büro in einer WG, Katrin und Florian wohnen im Stock über mir und wenn ich im Büro meinen Laptop schräg über den Kopf halte, kann ich mit dem WLAN-Signal von oben Mails senden und empfangen, bevor wir morgens gegen zehn anfangen im Büro zu arbeiten, schleiche ich mich aus dem Haus, um joggen zu gehen, abends schlafe ich nicht ein, weil mir immer alles einfällt, was noch zu erledigen ist, morgens wache ich um halb sechs auf, obwohl der Wecker auf neun gestellt, damit ich endlich mal wieder ausschlafe, aber unerledigte To-Do-Listen sind ein nicht zu überkommender Melatonin-Hemmer, also raus, leider nieselt oder regnet es immer, aber heute, genau eine Woche vor Festivalbeginn hat Thomas einen Zettel an die Pinnwand gehängt, eine ausgedruckte Wettervorhersage, für 20. bis 24. Mai 2005 ist Regen angesagt, und für die Tage 26, 27, 28 und 29/05/2005 steht da jeweils ein völlig unbewölktes Sonnen-Piktogramm und darunter und zum ersten Mal in diesem Jahr Höchsttemperaturen in den mittleren und oberen Zwanzigern und oben drüber auf der Weißfläche des Zettels steht in Thomas etwas drahtiger, ordentlicher, immer leicht vorgeneigter Handschrift: für alle – zum Freuen!

III

Wir haben einen Tischkicker und Tischtennisfrenzies, wir haben Rollrasenzonen, wir haben einen halb sonnenverbrannten Kresseschriftzug und ein Meer aus explodierenden Lilien, wir haben in den Beats von Stadtler & Waldorf tanzende Mengen von Menschen, die stille Hoffnung es könnte richtig, richtig voll werden wird schon am ersten Abend von allem, was wir uns in unseren Träumen vorgestellt haben, um ein mehrfaches überflügelt und damit ist es genau so geworden, wie wir uns das vorgestellt haben, wir haben die vitale fünfzigjährige Hundesalonbesitzerin mit dem blinden Pudel aus dem dritten Stock des Gebäudes, in dessen ersten zwei Stockwerken das Festivalzentrum liegt, im Nokia am Ohr, die uns sagt, wir sollen die Party jetzt beenden, es sei zu laut, wir haben den Schweiß und die Euphorie der Tanzenden, die in der Luft in Dampf übergehen und an der Decke kondensieren und auf uns zurücktropfen, wir haben die halbe Bahnhofsstraße da, lauter postmigrantische Boys beim Tischtennis, die es um diese Zeit noch nicht gibt, weil es das Wort postmigrantisch noch nicht gibt, und Massen von Kuwis und Schreiberinnen und anderen in einem bis auf die Bahnhofsallee reichenden Pulk vor der Tür, wir haben die Polizei im Nokia am Ohr, die sagt, wir sollen die Party beenden und die sagt, wir machen Sie persönlich dafür verantwortlich, andernfalls kämen sie mit einer Hundertschaft, wir haben ein Biersponsoring von Tannenzäpfle und alle Zäpflevorräte Niedersachsens des Jahres 2005 in einem Raum, die Vorräte sind nach dem ersten Abend fast aufgebraucht, weil alle soviel trinken, weil es so heiß ist, drinnen wie draußen, wir haben Frank Spilker von den Sternen und Christiane Rösinger von Christiane Rösinger da, mit denen wir auf der Bühne bei Schreiben für Millionen über Songtextschreiben sprechen, und Frank spielt für uns Was hat dich bloß so ruiniert in einer Akustik-Soloversion, wir haben Kevin Vennemann ein Jahr bevor er zum wichtigsten Autor des Jahres 2006 wird, wir haben Lesungen, bei denen außer den Stuhlreihen die Gänge, der Raum vor der Bühne, die Türen aus einer schwarzen Doppelschicht Molton mit sitzenden, hockenden, stehenden Menschen besetzt sind, ich habe am Morgen des Festivalsamstags einen Überforderungszusammenbruch, von dem ich glaube, keinem im Team und auch sonst niemandem erzählen zu dürfen, und die Angst jetzt alles, alles weitere zu verpassen plötzlich vor mir wie eine sich nähernde Tsunamiwelle, ich erzähle dann doch Ruth davon, am Nokia, und sie bringt mich wieder auf den Boden zurück, streicht mir virtuell über den Kopf, in diese halbe Beruhigung hinein lege ich mich um 11 Uhr samstagvormittags schlafen, die nächste Anmoderation weiterzudelegieren erwies sich als völlig unkompliziert, während ich Minuten zuvor im Angesicht der Tsunamiwelle noch dachte, es wird jetzt alles über uns, über mir zusammenbrechen, ich erwache mit neuer Energie, das Gros des dritten Tages liegt vor mir wie ein Tableau, ein präzises Uhrwerk, eine gewaltige Maschine, deren Zahnräder ineinandergreifen, mit und ohne mein Zutun, wie ich jetzt realisiere, und aber jetzt wieder mit mir, wir schleppen 14.000 Euro in Künstlerinnenhonoraren in Briefumschlägen in einem unscheinbaren schwarzen Billigrucksack zwei mal am Tag entweder von der Goschenstraße in die Festivalbürozweigstelle in der Bahnhofsallee oder zurück, wir haben Polizisten, die ihre schwarzen lederbehandschuhten Hände zu Fäusten ballen und die schon vorsorglich in den Keller verlegte Party am Sonntagmorgen um sechs Uhr vierunddreißig für beendet erklären, draußen vor der Tür ist zu unserem Erstaunen längst Tag, wir haben Schichtdienst an der Bar, was immer irre Spaß macht, wir haben unglaublich viel verschwendete Frühjugend zu verschwenden, wir sind ein Team aus zweiundsiebzig jungen, schönen, vorübergehend kaputtgetrunkenen Menschen, die sich in alles schmeißen, was anfällt, wir haben einen Gastrogeschirrspüler und eine wackelige Elektrik und eine Abnahme durch die Feuerwehr, wir haben eine Beauftragte für die Blumenbeete auf der Hinterterrasse (Mirle Köhler), wir haben Barschichten, Einlassschichten, Aufräumschichten, Springerschichten und Ersatzspringerschichten, im Team sind lauter künftige Regisseurinnen und Performerinnen und Autorinnen, deren Texte wir noch gar nicht kennen, Sabrina Janesch, Mounia Meiborg, Leif Randt, Nora Wicke, Katharina Bill, Anne Köhler, Sylvia Sobottka, John Birke zum Beispiel, wir haben die späte Gerhard-Schröder-Kanzlerschaft und eine sich über das Land legende Harz-IV-Müdigkeit, wir haben George W. Bush als gerade wiedergewählten und – wie wir zukunftsvergessen denken – schlimmsten amerikanischen Präsidenten aller Zeiten, wir sind Ärzte- und Professorensöhne, wir haben einen erstaunlichen Männerüberschuss und ebenso erstaunliche zero peolpe of colour im Lineup, wir haben die Jungverlegerin Daniela Seel und als einen angenehm immer jungen Schriftsteller Thomas Meinecke in mehreren Funktionen, die völlig unbekannten Julia Zange und Thomas Pletzinger gewinnen den Literaturwettbewerb, Ronja von Rönne ist noch nicht geboren, Ted Gaier von den Einstürzenden Neubauten macht zusammen mit Raphael Urweider von Rapahel Urweider und mit Kim Oetliker von Dark Star Radio eine vor Ort entwickelte halb scheiternde halb sehr geile Literaturperformance zur Eröffnung, wir haben nach dem Festival 6000 Euro Barüberschuss bei Bierpreisen von 1 Euro 50 die Flasche und üppiger Getränkeverschenkpraxis, wir müssen wegen der Hitze schon am zweiten Tag Bier nachkaufen und fahren mit dem Sprinter zu einem Getränkegroßmarkt im Umland, als wir zurück zum Festivalgelände kommen, sind im Innern des Laderaums zwei Kisten umgekippt, so dass wir eine konstant plätschernde Bierschleppe von der Nordstadt bis in die Bahnhofsallee hinter uns herziehen, wir verlieren das Fußballspiel gegen Leipzig knapp mit 3:2, weil Jo Lendle den Kasten der Leipziger einfach zu sauber hält, dabei hat Jo doch, bevor er in Leipzig studiert hat, erst in Hildesheim studiert, wir haben nach dem Festival eine Anzeige wegen Körperverletzung am Hals, weil die vitale Frau mit dem blinden Pudel, der wir schon am ersten Abend ein Zimmer im Dorint Hotel anbieten, die aber wegen ihres Hundes nicht woanders schlafen kann, aufgrund von Schlafmangel eine Depression bekommt, am Sonntag Abend erklärt uns die Polizei, dass wir die Veranstaltung für beendet erklären müssen, andernfalls rückt die Bereitschaftspolizei aus Hannover an und räumt das Gelände, und das wird dann richtig teuer, sie zwingt mich an ein Mikrophon zu gehen und die Ansage zu machen, dass es vorbei sei, nachdem wir schon Thomas Meinecke für den Abschlussabend abgesagt haben, weil er sagt, seine Musik funktioniere nur laut, was wir verstehen, und auch dem studentischen Ersatz-DJ Malte Beisenherz oder war es David von Westphalen sagen wir wieder ab, und ich stelle mich auf eine Box und sage in ein Mikrophon, dass ich es schrecklich finde, aber dass wir gezwungen seien das Festival hier zu beenden, und Jörg Albrecht ruft in den Saal Danke für alles, und ein Applaus und Jubeln brandet auf und reißt für Minuten nicht ab, Trotz mischt sich da rein, die Polizisten ringen ihre behandschuhten Hände und winken in meine Richtung, dass ich das zu beenden habe, also sage ich noch mal in das Mikrophon, dass dieser Jubel sehr schön sei und dass ich trotzdem, obwohl ich es nicht wolle, darum bitten müsse, dass wir jetzt leise werden und ich sage noch, kommt alle 2008 wieder.

IV

Seit dem Festival sind wir älter geworden, uns sind Haare ausgefallen und Zähne und Zehnägel, wir sind Dozentinnen geworden, Lektorinnen, Autorinnen, Werbetexterinnen, Erzieherinnen, Journalistinnen und multiple Väter, und wir leiden ein bisschen darunter, dass Prosanova eigentlich nie ist (ich meine, drei Jahre sind eine echt lange Zeit) und gleichzeitig ist Prosanova eigentlich immer, und wenn wir die in Lindenblütentee getauchten Bilder des kommenden Prosanova | 17-Festivalgeländes anschauen, steigen nicht nur diese Vergangenheiten in uns auf, sondern auch die Erwartungen an eine noch vage aber komprimierte Zukunft, eine Art bifokale Madeleine, wenn wir hier dieses schiefe Bild einmal bemühen dürfen, und wir finden, um angemessen über Prosanova zu sprechen, müssen wir eine neue Zeitform erfinden, das Futur Perfekt, um dieses gleichzeitige Voraus und Zurück auszudrücken, das Erinnern der Zukunft und das Sich-freuen-auf-das-Vergangene, und um das In-Prosanova-Sein zu beschreiben brauchen wir dann komplementär dazu das Präsens II, das Erleben von Momenten, die man schon lange erwartet und sich innerlich ausgemalt hat, und zugleich, schon während es passiert, weiß, dass man sich daran in aller Intensität erinnern wird, denn wir besitzen ein Prosanovakörpergedächtnis und wir besitzen ganze Hirnareale, in denen ausschließlich Prosanovaerinnerungen abgelegt sind, eigene Prosanovaganglien, -rezeptoren und –transmitter, Prosanovaendorphin, Prosanovaadrenalin und Prosanovaserotonin, die nur alle drei Jahre ausschüttbar sind, wir sind 25 Jahre alt, wenn Prosanova stattfindet, wir sind 28, wir sind 31, wir sind 34, wir sind 37, wir sind 43 und 58, dann organisieren schon unsere Kinder Prosanova, aber wir bleiben immer 25, denn das Chaos ist nie aufgebraucht, es ist die beste Zeit.

 

Paul Brodowsky

[FLASHBACK] umfasst Beiträge von ehemaligen PROSANOVA-Beteiligten.

[MATERIAL] #7 die Artists in Residence – ein Text von Simon Sailer

#pn17 / Blog /

5. Juni 2017

Simon Sailer lebt als freier Schriftsteller in Wien. Zudem organisiert er im Rahmen des von ihm 2011 mitgegründeten Vereins zur Förderung Kritischer Theater- Film- und Medienwissenschaft Buchprojekte, Workshops und Vorträge. Er studierte Philosophie an der Universität Wien und der Sorbonne Paris sowie Art and Science an der Universität für Angewandte Kunst Wien.

 

Der Lautdenker

Wenn ich mich recht erinnere, stieg er bei Johnstraße zu. Er hatte davor die Hand gehoben, gewunken und zu einer Stelle außerhalb meines Blickfelds gesehen. Im Nachhinein betrachtet ist fraglich, ob dort jemand gestanden hatte.
Er setzte sich mir gegenüber, auf den Gangplatz einer Vierergruppe. Ich saß in Fahrtrichtung und er verkehrt, ein bulliger Kerl mit rasiertem Kopf. Jung, keine dreißig. Über einem weißen T-Shirt trug er eine gefütterte Jacke. Irgendwas stimmte nicht mit seiner Lippe, sie war zu hell und blau geschwollen wie von einem Cut. Äußerlich stach der Bursche gar nicht besonders heraus und ich hätte ihn längst vergessen, aber er verhielt sich seltsam. Erst dachte ich, er würde telefonieren.
Man sagt immer, jemand spricht mit sich selbst. Genau genommen spricht aber niemand mit sich selbst, sondern zu sich selbst oder vor sich hin oder mit eingebildeten Anderen. Der Bursche tat nichts davon. Eher klang er, als würde er laut denken.
Im Bus klebten die Menschen aneinander. Die Luft war von der Heizung heiß und trocken. Es roch nach dem Streusalz, das die Fahrgäste mit dem Schneematsch an ihren Stiefeln in den Bus trugen. Der Lautdenker sah sich um wie ein neugieriger Hund, schleckte mit den Augen über die Gesichter der Fahrgäste. An meinem blieb er nur kurz hängen. Überhaupt verweilte er nirgends lang. Alle mieden Blickkontakt. Sie duckten sich hinter ihren Telefonen, fixierten einen Punkt am Boden oder sahen wie beiläufig aus dem Fenster. Ein Händy läutete; es spielte dieses Lied, das gerade überall läuft. „Ist das mein Handy?“ Der junge Mann kramte im Rucksack zwischen seinen Beinen. „Nein, meines ist es nicht. Meines klingt anders.“
An der Schmelz hielt der Bus. Ein Mann mit einer dunkelblauen Adidas-Sporttasche stieg aus, dabei fiel ihm, ohne dass er es merkte, ein Stück Wurst oder fleischfarbene Wolle auf den Boden. Der Lautdenker streckte sich danach. „Der Herr hat etwas verloren. Braucht er das noch?“ Kurz glaubte ich, er wolle es aufheben und dem Sportler nachtragen, aber da schlossen die Türen. „Jetzt ist er weg. Auch kein Malheur.“ Das letzte Wort sprach er gedehnt, den öligen Klang der zweiten Silbe auskostend: „Malheur.“

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[MATERIAL] #6 die Artists in Residence – ein Text von Henrik Pohl

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4. Juni 2017

Henrik Pohl, *1988 in Lemgo. Studium der Cultural Studies in Berlin und Istanbul. Seit 2015 am Literaturinstitut in Hildesheim. Schreibt im Kollektiv Nobiling. War u.a. Stipendiat der Werkstatt für junge Literatur, der Werkstattbühne am Leipziger Lofft-Theater und des Literaturkollegs im Rahmen der Raniser Wortwelten. Veröffentlichungen zuletzt in: Entwürfe#82, Anthologie zum Wortlaut’16, PS#2 – Politisches Schreiben / Anmerkungen zum Literaturbetrieb.

 

Im Gebiet einzig neu: Talib

(Auszug)

 

Gegen Einbruch der Dunkelheit bäuchlings auf dem Bett liegend, in Schreibheft 1, auditives Journal, notiere ich:

Seit der Vater heute die Tapete von den Wänden riss, haben sich die Stille betreffend zwei Dinge verändert: 1. eine allgemeine Zunahme des Halls in der Kasernenwohnung, Geräusche, die jetzt lauter gegen den rohen Putz und bis vor meine Zimmertür fallen. Beispiele in diesem Zusammenhang: Die in der Stube von der Wand in den Raum tickenden Zeiger der Uhr; das Anreißen und Aufflammen der Schwefelköpfe, kurz bevor der Vater raucht; ebenso das Rascheln in Verbindung mit den Seiten des Orgauer Anzeigers. 2. Wenn Schritte bisher durch das Knarzen verzogener Dielen bestimmt waren, reiben nun zusätzlich kleine und größere Brocken Putz in den Fugen gegeneinander, ein Geräusch wie auf Sand beißen, dabei zu Anfang: sich aufstellende Härchen im Nacken.

Als ich die harten Sohlen des Vaters den Flur durchmessen höre und an den Farbverlauf seines Bartes von nikotingelb zu grau denke, setze ich den Stift ab. Die Wohnungstür fällt ins Schloss. Er richtet selten das Wort an mich.

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[POOL] “Am Ende sagte er: für vier Tage macht ihr hier dann so pi pa po?!”

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3. Juni 2017

Das Wort zum Montag: Pressstempelkanne.

SMS-Perle des Tages: und vielleicht ist es akustisch mit Mikro einfach besser weil wir wegen der Erde ja auch keine Tür mehr haben.

Großer Aldi-Putztag. Das blieb nicht unbemerkt. Die Polizei war da: “Wir haben einen Anruf bekommen, dass fünf Jugendliche im Aldi skaten würden.”

Jetzt fühlt es sich an, als hätte ich einen Frosch im Hals oder würde Husten kriegen. Dabei ist es vermutlich nur ein Klumpen Staub. Es ist wie Ole sagt, man fühlt sich am Abend wie Sancho Pancho.

Gestern waren Helene, Leonie&Leonie und ich noch an der Steingrube und haben auf einer Picknickdecke bunte Tüten gesnackt. Dann lief Caro zufällig vorbei, sie hatte ein Weinglas in der Hand und hat erzählt, dass sie früher bei den Nacktschnecken immer die Fühler angetippt hat, damit sie sie einziehen. Ihre Mutter musste sie immer auf dem Arm tragen, wenn es geregnet hatte, weil es sonst Stunden gedauert hat, vom Haus über den Weg zur Straße runter zu laufen, weil sie das bei jeder einzelnen Schnecke gemacht hat, und wenn bei einer die Fühler schon wieder draußen waren, ist sie wieder zu ihr zurück gelaufen. Leonie hat sich geschüttelt vor Ekel, weil sie Nacktschnecken hasst. Das war die schönste Geschichte des Tages.

Gestern durfte ich auf den gelben Hubwagen in der Eisenhalle klettern. Darauf hab ich seit Wochen gewartet. Ole sagt: bitte nicht auf das Podest pupsen.

Ich korrigiere: Es fühlt sich nicht an, als würde ich Husten bekommen – ich habe Husten bekommen. Nix Sancho Pancho.

Luca und ich haben uns in eine Palette verliebt, sie ist eine sehr kleine Palette und deshalb sehr süß, außerdem sind die Bretter unterschiedlich holzfarben, ein richtiger Farbverlauf ist das, was sie auch zur schönsten Palette macht.

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[PHON] #5 die Artists in Residence – ein Interview mit Kristin Höller

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3. Juni 2017

Kristin Höller, geboren 1996, aufgewachsen in Bonn, studiert Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften in Dresden. Freie Mitarbeit bei verschiedenen Zeitschriften, unter anderem bei jetzt.de, dem jungen Online-Magazin der Süddeutschen Zeitung. 2016 Finalistin des 24. Open Mike, außerdem Preisträgerin beim 10. Poet_bewegt, sowie beim 31.Treffen junger Autoren.

Woher kennst du das PROSANOVA Literaturfestival?

Ach, das weiß ich gar nicht mehr. Vermutlich war es irgendwann einfach da: In meiner Timeline, in Gesprächen, im Kopf.

Warst du schon mal Besucher auf einem der vorherigen PROSANOVA Festivals?

Nein. Da war ich nämlich noch sehr jung und zwangsläufig mit anderen Dingen beschäftigt.

Warum nimmst du beim Artist in Residence – Programm teil?

Das Marketing war so hervorragend, ich war quasi gezwungen etwas hinzuschicken.

Kennst du von den anderen AiR-Teilnehmer°innen jemanden?

Das wäre übertrieben, aber bei zweien bis dreien weiß ich schon, wer das ist.

Um wen oder was ging es in deinem Bewerbungstext?

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[PHON] #4 die Artists in Residence – ein Interview mit Tabea Steiner

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1. Juni 2017

Tabea Steiner ist Autorin und auch Veranstalterin von Literaturevents wie dem Thuner Literaturfestival und dem Berner Lesefest Aprillen. Sie sitzt in mehreren Literaturjurys und hatte 2011 das Stipendium der LCB Autorenwerkstatt. Mit Artist in Residence-Dasein hat sie bereits Erfahrung; 2014 verbrachte sie den Sommer in Genua mit der Arbeit an ihrem ersten Roman.

Fangen wir mit dem Text an, mit dem du dich bei der Artist in Residence-Ausschreibung beworben hast… Er spielt in einem bäuerlichen Milieu, zerrissene Familien werden angedeutet und es scheint um die Deckung eines Kinderschänders zu gehen. Warum hast du dich mit diesem Text beworben?

Der Text ist ein Ausschnitt aus dem Roman, an dem ich seit einiger Zeit arbeite. Ich wollte Szenerien aus der Mitte des Geschehens zeigen. In der Szene geht es eigentlich nur um ein Kind, das beim Rauchen erwischt worden ist, aber so wie darüber gesprochen wird, kann es plötzlich auch um ganz andere Dinge gehen. Mich interessiert, was Gesagtes und was Verschwiegenes erzählen kann. Dieser Ausschnitt versucht dies zu zeigen und ich wollte wissen, ob das funktioniert.

In deinem Text wird eine anfänglich eingeführte Idylle zerstört bzw. die Fassade beginnt zu bröckeln. Ist es ein förderlicher Kniff, diese Geschichte im bäuerlichen Milieu anzusiedeln? Warum dieser Ort und diese ländliche Struktur?

Dass die Geschichte in einer sehr ländlichen Umgebung spielt, ist für mich weniger ein Kniff, sondern hat eher mit Soziotopen und Kleingemeinschaften zu tun. Und natürlich damit, dass ich diese Welt sehr gut kenne: Den Nachbarhof meiner Kindheit bewirtschaftete ein Bauer zusammen mit seinem Vater, der auch im hohen Alter noch alles bestimmte und sehr geizig war. Weil dieser Hof sehr alt war, wäre es dringend notwendig gewesen, dass man wegen drohendem Schwelbrand eine Heubelüftung installiert hätte. Für den alten Bauern kam das aber nicht in Frage, so dass sich das ganze Dorf zusammengetan hat und für ihn einen Ausflug organisierte; jemand hat ihn begleitet, damit man sicher sein konnte, dass er auch wirklich erst am Abend zurückkommt, wenn die Belüftung montiert ist. Am Abend hat er getobt. Solchen Strukturen möchte ich nachgehen.

Die Form deines Textes ist sehr spezifisch. Es gibt viele Zeilenumbrüche, lange Sätze, die nur durch Kommata gegliedert sind. Wörtliche Rede ist durch Spiegelstriche gekennzeichnet, die einzelnen Repliken fließen ineinander über. Es werden kleinteilige, tägliche, einfache Bewegungen beschrieben, Alltagspraxen, über die man* eigentlich nicht groß nachdenkt. Durch Kommata und fehlende Punkte erhält alles eine Gleichzeitigkeit und eine Dichte, die dem kleinteiligen Inhalt fast widerspricht und ihn dadurch besonders gewichtig macht. Trotzdem bekommt man* sehr wenig Informationen über die Figuren, sondern wird in deren alltägliche Handlungen, alltägliche Praxis hineingeworfen.                                                                                                                           Wie kamst du zu diesem Stil?                                                                                                                                                                       Schreibst du das in einem Zug herunter, um diesen Fluss herzustellen oder ist es eher so, dass es eine minutiöse Arbeit ist, wie es deine Website suggeriert, auf der steht, dass du deine Texte „komponierst“?

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[PHON] #3 die Artists in Residence – ein Interview mit Marcella Melien

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1. Juni 2017

Marcella Melien, 1992 in Wiesbaden geboren, hat 2014 den Bachelor Buchhandel/ Verlagswirtschaft in Leipzig abgeschlossen. Seitdem studiert sie in Hildesheim, erst zwei Semester im Bachelor, danach im Master Literarisches Schreiben. Sie war mehrfach Preisträgerin beim Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen und einmal beim Treffen Junger Autoren. 2015 schrieb sie als Hospitantin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 2016 verfilmte sie als Drehbuchautorin, Produzentin und Regisseurin ihre Kurzgeschichte „Auftauchen“.

Warum hast du dich für das Airtist Programm beworben?

Weil ich gerne nicht „nur“ als Zuschauerin bei Prosanova dabei sein wollte; weil ich die Vorstellung, mit Schreibenden von außerhalb Hildesheims in eigens für uns konzipierten Workshops zusammenzuarbeiten, sehr spannend fand, und weil ich gerne in der BELLA triste publizieren wollte. Außerdem hatte ich ein neues Schreibprojekt begonnen und wollte testen, wie die Reaktionen darauf sind.

Was erwartest du von dem Programm, den Workshops, Hildesheim?

Von Programm und Workshops erwarte ich, dass sie sehr konzentriert und intensiv sein werden, und eine sehr gute Zeit! Und von Hildesheim, dass es weniger verschlafen ist als sonst, dass sich die berüchtigte „Hildesheimer Blase“ weitet.

Wie lange schreibst du schon?

Ich habe als Kind mit Kritzeleien angefangen und seitdem immer geschrieben.

Wo schreibst du am liebsten und was brauchst du zum Schreiben?

Zuallererst brauche ich die Überwindung anzufangen. Außerdem gut sind: viele Haken auf der To-do-Liste, Wasser und Kaffee oder Tee. Neuerdings habe ich so ein Kissen, das den Oberkörper beweglich hält, damit kann ich länger sitzen, ohne dass mir der Rücken wehtut. Mein Lieblingsarbeitsplatz ist mein unaufgeräumter Schreibtisch.

Woran arbeitest du gerade?

An meinem Masterprojekt und der zugehörigen Masterarbeit.

Welchem Genre und welcher Textform würdest du deine Texte zuordnen?

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[PHON] #2 die Artists in Residence – ein Interview mit Johannes Koch

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30. Mai 2017

Johannes Koch wurde 1989 geboren. Nach seinem frühen Rauswurf bei den Vengaboys hat er Linguistik studiert. Seit 2015 am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften. Er schreibt im Kollektiv Nobiling.

Auf welche Frage antwortest du beim Smalltalk am wenigsten gern?

„Kann man dann später davon leben?“

Schreibst du eher impulsiv oder regelmäßig oder beides?

Ich schreibe eigentlich dann, wenn ich Zeit dafür finde. Ich nehme mir schon ewig eine größere Regelmäßigkeit darin vor – aber dann kommt irgendwie meistens das Leben dazwischen.

Welche Art von Literatur interessiert dich?

Eine Autorin, die mich sehr begeistert, ist Dorothee Elmiger. Aber manchmal hab ich das Gefühl, dass einfach alle von Dorothee Elmiger begeistert sind, deshalb hat das nicht so richtig einen Geheimtipp-Charakter. Ebenfalls toll: Justin Torres. Er hat nur ein Buch geschrieben und das ist auch noch ganz kurz, aber sehr, sehr gut (wirklich). Außerdem: Johanna Maxl. Die kommt auch zum PROSANOVA. I’m a fan.

Hast du manchmal den Eindruck, diese beim Schreiben zu imitieren?

Ja. Aber ich finde das gar nicht so negativ. Johanna Maxl zum Beispiel schreibt sehr seltsame Geschichten, voller surrealer Szenen und abrupter Wechsel. Ich habe auch oft sehr seltsame Geschichten in meinem Kopf oder habe ganz plötzlich keine Lust mehr auf eine bestimmte Szene und würde dann gerne ganz abrupt wo anders weitererzählen. Aber ich glaube, ohne diese Vorbilder würde ich mich gar nicht trauen, so etwas zu machen. Weil ich denken würde: Das geht so nicht. Das ist keine richtige Literatur. Und dann lese ich aber diese Geschichten und merke: das funktioniert eben doch. Insofern machen die Vorbilder für mich ein freies Schreiben überhaupt erst möglich.

Hast du beim Schreiben irgendeine „Mission“, möchtest du Erkenntnisse generieren oder primär unterhalten?

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[PHON] #1 die Artists in Residence – ein Interview mit Bettina Wilpert

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29. Mai 2017

Bettina Wilpert, geboren 1989, aufgewachsen bei Altötting. Sie studierte Kulturwissenschaft, Anglistik und Literarisches Schreiben in Potsdam, Berlin und Leipzig. Sie war u.a. Finalistin des 23. Open Mike und Stipendiatin des 20. Klagenfurter Literaturkurses. Veröffentlichungen zuletzt in der Zeitschrift „Outside the Box“ und in den Büchern „Destruktive Charaktere” und „Damaged Goods“. Sie arbeitet als Trainerin für Deutsch als Fremdsprache und lebt in Leipzig. 

Was erwartest du von dem Programm, den Workshops, Hildesheim?

So viel erwarte ich gar nicht, im Moment bin ich eher voll Vorfreude. Ich war vor drei Jahren als Gast beim PROSANOVA und das Wochenende war ziemlich aufregend. Inzwischen kenne ich einige Leute aus dem sogenannten Literaturbetrieb und deswegen fühlt sich das für mich wie eine Art Klassentreffen an. Ich freue mich also vor allem darauf, Leute zu treffen und meinen Text vorlesen zu können.

Wie lange schreibst du schon?

Ich schreibe natürlich schon immer, also seitdem ich schreiben kann. 😉 Aber richtig mit dem eigenen Schreiben beschäftigt habe ich mich erst, als ich 2013 das Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig angefangen habe. Inzwischen bin ich damit fertig und habe das Schreiben jetzt sehr gut in meinen Alltag integriert. Vor dem Studium hatte ich immer keine Zeit zu schreiben, jetzt ist das eigentlich meine erste Priorität.

Woran arbeitest du gerade?

Ich arbeite gerade an einem Roman mit dem Arbeitstitel „Gespenster, vielleicht“. Darin geht es um eine Vergewaltigung, bei der Aussage gegen Aussage steht. Mich interessiert nicht so sehr die juristische Auseinandersetzung oder ein klassisches Whodunnit. Ich beschäftige mich vor allem mit den Menschen und damit, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf die Betroffenen und das Umfeld hat. Beim PROSANOVA lese ich aus dem Anfang des Romans.

Gibt es einen Autor/ eine Autorin, die du gerne einmal treffen würdest oder als Workshopleiter°in hättest?

Tatsächlich hätte ich super gern Mithu M. Sanyal als Workshopleiterin. Im Zuge der Recherche für meinen Roman habe ich natürlich ihr Buch gelesen. Es würde mich sehr interessieren, was sie über meinen Text denkt. Deshalb freut es mich auch so, dass sie zum PROSANOVA eingeladen ist. Und treffen würde ich gern mal Stefanie Sargnagel, ich bin riesengroßer Fan.

Was liest du im Moment?

Im Moment lese ich „Baba Dunjas letzte Liebe“ von Alina Bronsky. Das habe ich zu Weihnachten von meiner Mutter geschenkt bekommen.

Aus welcher Motivation heraus schreibst du bzw. für wen schreibst du?

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[PROZESS] es war kalt und grau und wir waren euphorisch

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26. Mai 2017

Vor über einem Jahr haben wir damit begonnen, einen Ort zu suchen, an dem ein Literaturfestival stattfinden kann, sind mit unseren Fahrrädern die Stadt abgefahren, haben vor zugenagelten Fenstern gestanden, sind über Zäune geklettert, haben uns herumführen lassen von einem Mann im hellgelben Poloshirt und mit Audi vor der Tür. Wir haben recherchiert wie teuer es wäre 50 Container zu mieten oder 30 Jurten, haben am Hafen nach leeren Produktionshallen gesucht, standen in ehemaligen Kasernenräumen, in denen noch einen Monat zuvor Geflüchtete untergebracht waren, haben Autowaschanlagen, Parkhäuser und Bahnhofshäuschen besichtigt und gehofft, dass das Wasserparadies doch noch pleite geht.                                                                   Das Jahr ging herum und wir hatten noch immer nichts in Aussicht. Wir schliefen schlecht und in unseren Träumen fand das Literaturfestival in zu kleinen Räumlichkeiten statt, die Stimmung war am Tiefpunkt. Gleichzeitig begannen wir uns zu fragen, ob sich die ganze Arbeit überhaupt lohnte, ob es angemessen war, zwei Jahre lang alle Energie darauf zu verwenden, dieses Literaturfestival zu organisieren und aufzubauen, wenn es selbst doch nur vier Tage gehen würde.                                               Darauf wussten wir keine Antwort und lenkten uns zuerst ab mit Korrekturlesen, dann mit Großversand. Es wurde März und wir wurden nervös. Einen Tag später rief uns Herr Homeister an, der für die Stadt arbeitet, Leerstände verwaltet und uns seit dem Beginn unserer Suche unterstützte, wo er nur konnte. Es gebe da eine Hausverwaltung, die den zur Zeit leerstehenden Aldi Markt in der Nordstadt kaufen wollte, und denen dazu eine weitere Halle, nur eine Querstraße weiter, gehörte. Wir hüpften mehrmals in die Luft und machten sofort einen Termin.

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[FLASHBACK] #4 PROSANOVA 14 – Eröffnungsrede

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23. Mai 2017

„Mein Name ist Benjamin und ich werde jetzt eine Rede halten. Ich beginne mit einem Plan, der nicht funktioniert hat. Mein Plan war richtig, richtig gut. Denn wenn er aufgegangen wäre, stünde ich jetzt nicht so einsam auf dieser Bühne, die viel zu groß ist für einen kleinen Menschen wie mich, sondern an meiner Seite stünde – ich zittere nur, weil mir kalt ist – sondern an meiner Seite stünde, oder vielleicht säße er auch, jemand zweites. Hier und heute, am Vatertag, hätte Bernd Weifenbach auf dieser großen Bühne neben mir gestanden, ich hätte ihm ein paar Fragen gestellt und er hätte sie mir beantwortet. Es wäre echt witzig geworden und das Gute an diesem Plan wäre gewesen, dass ich mit Bernd einen echten Experten neben mir stehen gehabt hätte und ich selbst nicht so viel hätte reden müssen. Und auch nicht so viel zittern. Das steht nicht im Text, hab ich erfunden.

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[PROZESS] Utopie III – Die geilste Partynacht

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21. Mai 2017

Seit auch offiziell bekannt wurde, dass die Fusion dieses Jahr nicht stattfinden wird, und sich die treuen Besucher°innen und die Festivalbetreiber°innen des Kulturkosmos-Lärz einig sind, dass das Festival mittlerweile überlaufener ist als der Frankfurter Flughafen, ist die Devise für Festivalgänger in diesem Jahr eindeutig: „Das Jahr 2017 ist das Jahr der kleinen Festivals“. Je unbekannter, desto besser. Festivalbetreiber°innen haben vor einigen Jahren erkannt, dass immer nur Party, 4 Tage lang, selbst unter dem Einfluss verschiedenster Substanzen, irgendwann ein wenig dröge wird. Jonglieren Lernen, analoge Fotoentwicklung, eigenhändig Surfbretter Hobeln, Schaukeln, Shuffle Board oder ähnliches gehören mittlerweile zum Festivalstandard. Ähnlich geht es den Kulturfestivals im umgekehrten Sinne. Weg vom grauhaarigen alten Mann in Lederjacke, der sich zum Schreiben in seinem staubigen Kämmerchen einschließt, verbissen darauf, sein Werk nie öffentlich zu präsentieren. Literatur feiern.

Mitte Juni 2017, endlich ist PROSANOVA. Viele Menschen haben hart dafür gearbeitet, damit dieses Festival stattfinden kann. Es wurde geschraubt, geredet, zusammengesteckt, gestritten und gelesen ohne Pause. Doch nun wird endlich gefeiert. Der Kopf ist zur einen Hälfte gefüllt mit den Eindrücken der Autor°innen, die heute aufgetreten sind, zur anderen mit den passioniert umgesetzten Workshops. Doch jetzt, das erste kühle Bier in der Hand, die Abendsonne im Nacken, blicke ich über den von jungen wie alten Menschen gefüllten Aldi Parkplatz, in dessen Umgebung das Festival stattfindet. Die Lichterketten zwischen den von Wollschals durchflochtenen Zäunen blinken synchron im selben Rhythmus. Hier und da steigt Nebel durch die Farben. Ich frage mich, wo die Musiker auftreten werden. Der Platz ist ja gefüllt mit kleinen Holzhütten, die sehen aber alle leer aus. Und bei der Bühne, auf der die Autor°innen gelesen haben, ist auch kein Mensch zu sehen. Da steigt plötzlich ein roter Lichtpunkt auf, aus der Richtung der Bahngleise. Und noch ein gelbes. Alle schauen auf und fangen an zu tuscheln. Die ersten bewegen sich in Richtung der Lichter. Ich schließe mich einer Gruppe von Kommiliton°innen an und gehe mit ihnen die Straße hinunter.  More

[FLASHBACK] #3 PROSANOVA 11 – Morgen- und Geschirrspülnebel

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15. Mai 2017

Warum ich mich an PROSANOVA 2011 nicht erinnern kann

Dafür, wer ich während PROSANOVA war, habe ich ein langzeitbelichtetes Bild vom Freitag: Nachmittags liefen dort zwei einmalige Veranstaltungen parallel, denen ich gleichmäßig entgegenfieberte. Schon Wochen vorher hatte ich mich gefragt, für welche ich mich entscheiden würde – Minuten vorher hatte ich immer noch keine Ahnung. Ich stand zwischen den Hallen. Jemand kam von links und sagte, sie ginge jetzt auf jeden Fall nach rechts. Jemand kam von rechts und sagte, er habe sich jetzt ganz klar für links entschieden. Wohin ich denn gehen würde? Auf beiden Seiten wurden die Tore in die Hallen geöffnet. Ich ging kurz nach links, dann nach rechts. In der Mitte blieb ich wieder stehen.

Als die Veranstaltungen noch Klebezettel waren, die wir an vier Papierbögen, die die vier Festivaltage waren, monatelang immer wieder vertauschten, sprachen wir häufig von massiver Überforderung und geilem Overkill. Wir schauten uns nicht an, während wir nächtelang an der Programmplanung arbeiteten: Wir starrten von August bis Dezember auf die Klebezettelwand wie auf ein komplexes Rätsel, das weder Anleitung noch Auflösung kannte. (Wie schön wäre das gewesen: Auflösung auf der letzten Heftseite.) Einer von uns stand als Glücksrad-Assistentin vor der Wand und schob auf Ansage der anderen die Zettel hin und her – manchmal sprang jemand dazu und klebte eine Veranstaltung voller Wut oder in plötzlicher Genialität an eine andere Stelle, vom Abend in den Nachmittag hinein, vom Freitag auf den Sonntag, manchmal sogar auf die Bürotür: Das war nicht metaphorisch gemeint, bedeutete aber trotzdem Rausschmiss.  More

[PROZESS] Ich sag dir was oder: es wird gebaut

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10. Mai 2017

Ich sag dir, da entsteht was. Es wird gemessen. Gehämmert, gebohrt, geschliffen, gesägt und poliert, auf Hochglanz. Die Hallen sind groß. Räume, die von vergangenen Geschichten erzählen, verstaubt und vergessen. Putz, der von den Wänden bröckelt. Stahlträger, die nichts mehr zu tragen haben. Blumen, die sich bis zum Aldi ranken. Es wird gestaltet. Gedacht, gebogen, gefeilt, gewogen und entrümpelt. Dein Keller, mein Keller und wiederbelebte Schätze, denen das Leben neu eingehaucht wird. Wir brauchen noch mehr Äste. Wie lebendige Riesen hängen sie bald herab. Spreizen ihre Finger, ihre Arme im goldenen Licht unter den Scheinwerfern. Werden beseelt mit Worten und angehaltenem Atem. Ich sag dir, da entsteht was. Geradeaus Denkende grübeln im OBI. Schummriges Licht, lachende Gesichter. Ein Augenpaar, das sich trifft, das sich festhält. Das sich langsam aufeinander zubewegt, bis sie sich neue Worte zuflüstern und gemeinsam anstoßen, sich dabei fest im Blick. Ich sag dir, da entsteht was. Wir brauchen mehr als eine Bar. Wie groß soll sie werden? Es wird geplant. Geputzt, geschätzt, gestrichen, gesucht und entworfen. Fahrräder warten auf Schrauben und Reiter. Ein kleines Haus wartet auf Licht. More

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